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Human Animal Studies
Wolfsmonitoring in Baden-Württemberg 

Ein Forschungsbericht über Wölfe, Wissenschaftlichkeit und Wahrnehmungspersepktiven tierlicher Agency

Julian Felix Martin Jaeger, M.A. Interdisziplinäre Anthropologie, Uni Freiburg, 2018

Sehr geehrte Leserin, lieber Leser und Leser_in,

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auf knapp 140 Seiten erzähle ich im Rahmen meiner Masterarbeit die Geschichte eines jungen Wolfsrüden, welcher im Jahr 2017 nach einer knapp 850 km langen Wanderschaft in der Nähe des Schluchsees im südlichen Schwarzwald von einer Unbekannten mit einem Gewehr erschossen wurde. Die Geschichte des jungen Wolfes ist auch Teil jener größeren Geschichte ‚der nach Deutschland zurückkehrenden Wölfe‘. Auch ist es eine Geschichte des Wolfsmonitoring, dem Versuch mit wissenschaftlichen Methoden nachzuweisen, wo derzeit Wölfe in Deutschland leben. Schlußendlich ist es auch eine Geschichte von Menschen und nichtmenschlichen Tieren.

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Wie werden Wölfe zu Worten?

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In Kooperation mit Mitarbeiter_innen aus den Arbeitsgruppen der Wildtierökologie der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg, des Leibniz Instituts für Zoo- und Wildtierforschung Berlin (IZW), des Senckenberg Forschungsinstituts, Außenstelle Gelnhausen und des LUPUS Instituts Spreewitz in der Sächsischen Lausitz wurden Fragmente der Migrationsgeschichte des illegal erschossenen „Schluchsee-Wolfes“ aus dem Jahr 2017 in einem gemeinsamen, mehrmonatigen Reflexionsprozess der Forschungsbeteiligten zusammengetragen. Durch die detaillierte Beschreibungen aller Arbeitsschritte zur Nachweiserbringung wölfischer Präsenz und Wanderschaft soll diese Arbeit dazu anregen, Interessierten, Laien und Beauftragten des Wolfsmonitoring einen Einblick in den wissenschaftlichen Alltag eines multilokalen und transdisziplinären Wolfsmonitoring zu geben.

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Immer wieder gilt es die Frage zu stellen, welche zwischenartlichen Machverhältnisse das wildtierökologische, wissenschaftliche und politische Verständins eines fachungebundenen ‚Wolfsmonitoring‘ mitbestimmen. Sowohl Wissenschaftler_innen als auch Wölfe werden als potentiell handelnde Akteure des Wolfsmonitoring von mir zur Diskussion gestellt. Um dieser Fährte nachzugehen präsentiere ich in einem einführenden Theorieteil dieser Arbeit bereits bekannte Konzepte aus den deutschsprachigen Human-Animal Studies, welche sich mit speziell mit Begriffen der ‚Handlungs-, bzw Wirkmächtigkeit‘ (agency) beschäftigen. Diese bette ich im Laufe der Arbeit in konkrete, machtstrukturelle Matrizen aus dem Feld ein. Um diese Matrizen zu verbalisieren, bediene ich mich Vorschlägen der Intersektionlitätsanalyse, wie sie 1993 von der australischen Soziologin Val Plumwood für menschliche Beziehungsverhältnisse aus dem Blickpunkt der postcolonial studies vorgeschlagen wurden. 

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So soll schrittweise versucht werden dichotomen oder exklusiven Attributszuschreibungen und/ oder sprachlichen Verallgemeinungerungen (z.B. ‚der (böse) Wolf‘) divers lebender Tiergruppen entgegen zu wirken. In Anerkennung der Vielfältigkeit und Fremdheit der Gegenüber können konkrete Interspezies-Beziehungen wie die von Menschen und Wölfen untersucht werden, ohne Gruppen oder Individuen per se über andere zu stellen.

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„Wie fassen wir die Welt in Worte?“, Latour, 1999, S. 120

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I follow the actors – Ich folge den Fotonachweisen, Spuren und körperlichen Überresten eines jungen Wolfes sowie einer Gruppe Wissenschaftler_innen, die diesen untersuchte. Die von mir gewählte Adaption der Latour’schen** Vorstellung „zirkulierender Referenz“ hilft mir nachzuvollziehen wie die unterschiedlichen, materiellen Zustände des ‚Schluchseewolfes‘ (Foto, Körper, DNA) im Rahmen des Wolfsmonitoring die Formen wechselten und dadurch Informationen über das Leben und die Identität des verstorbenen Rüden preisgaben. Der Leser_in erschliesst sich in einem ausführlichen Ergebnisteil dieser Arbeit wie Methoden des wissenschaftlichen Wolfsmonitoring dazu beitragen, Fakten über Wölfspräsenz und -Verbreitung in Deutschland zu schaffen.

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Diese Masterarbeit soll dazu beitragen, Wölfe und Menschen als Individuen im Diskurs um die ‚rückkehrenden Wölfe‘ Deutschlands sichtbar zu machen und am Beispiel mehrerer Szenarien des Wolfsmonitoring veranschaulichen, dass tierlich nichtmenschliche Gegenüber ebenso wie Menschen als potentiell wirkmächtig Akteure in den politischen Diskussionen über Wölfe vorgestellt werden können. Ein solcher Persepktivwechsel auf Augenhöhe zwischen den Arten ist meiner Ansicht von Nöten, um sich Gedanken über Konfliktsituationen, Grenzen aber auch mögliche Treffpunkte zwischen den Arten zu machen und so nachhaltige und kooperative Beziehungsstrukturen für ein zukünftigtes Zusammenleben aufzubauen.

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Hier nun der Link zur Arbeit:

 

Jaeger MA [IA] Freiburg 2018 Forschungspartner_innen

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* Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf

** In seinem Aufsatz von 1999 – „Zirkulierende Referenz – Bodenstichproben aus dem Urwald am Amazonas“ – begleitete der Anthropologe Bruno Latour eine Gruppe französischer Pedologen und brasilianischer Botanikerinnen bei ihrer Arbeit im Feld.

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Am Rand des Amazonasregenwaldgebietes stellten sich die Wissenschaftler_innen die Frage, ob sich ein bestimmtes Waldgebiet ausbreitete oder aber von der angrenzenden Savanne verdrängt wurde; eine ähnliche Fragestellung wie sie sich den Mitarbeiter_innen der Wolfsmonitoringeinrichtungen bot, galt es fundierte Beurteilungen darüber zu treffen, wie sich Populationsdynamiken, Vorkommens- und Verbreitungsgebiete von Wölfen künftig in Baden-Württemberg entwicklen werden. In seinem achtundfünfzigseitigen, fotophilosophischen Essay schildert Bruno Latour all jene „Zwischen und Übersetzungsschritte“ (Latour, 1999), die Wissenschaftler_Innen mithilfe von Instrumenten bewältigen müssen, um eine zusammenhängende Kette von „Repräsentationen“ (Latour, 1999) ihres Untersuchungsgegenstandes bis hin zu den wissenschaftlichen Publikationen über das zu Erforschende zu bilden. B. Latours feldphilosophisches Forschungsinteresse gilt dabei der Produktion von Wissen.

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Meinen Dank,

JULIAN JAEGER

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